Das obere Schwarzatal, von Schwarzburg aufwärts bis zur Quelle bei Scheibe, ist ein breites, heiteres Tal, durch das die Schwarza sanft ihre klaren Wellen rollt wie durch eine Ebene, denn Scheibe liegt nur 300 Meter höher als Schwarzburg und die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt 34 Kilometer. Wenig Felsen, nur zahme, mäßig ansteigende Waldberge. Das Schönste, was dieses Tal bietet, sind die Wälder und das Merkwürdigste die Art, wie die Menschen hier ihr Brot erringen. Beides darf man nicht auf der Landstraße suchen. Und so bin ich nur ab und zu von einem Dorf zum andern gegangen, meist aber gefahren und lieber durch die Wälder gelaufen. Das ist das richtige Waldland; wie der schönste Schmuck der Landschaft ist der Wald auch der beste Freund, der Schützer und Ernährer dieser armen, hart ringenden Menschen. Sein bescheidener Segen ist ihnen geblieben; andere, lockendere Gaben hat ihnen die Natur nur wie zum Hohn gespendet und wieder entzogen. Wie es den Leuten mit dem Gold der Schwarza ging, habe ich bereits erzählt; nichts Besseres erlebten sie mit dem Gold der Felsen. Verfallene Schachte trifft man hier oft; auf dem Tännig ob Schwarzburg, bei Glasbach, Goldisthal, Reichmannsdorf usw. Ein unheimlicher Anblick: wie Riesengräber, die noch ihres Inhalts harren, starren einem die Schlünde entgegen, aber sie haben ihn längst erhalten – wieviel Hoffnungen sind hier versenkt und wieviel Goldbarren; hundertmal mehr als je herauszuholen wären. Denn goldhaltig ist ja zweifellos der Quarz des Schwarzatals, nur eben in so winzigem Maße, daß er den Bergbau nicht lohnt. Durch fünf Jahrhunderte ist's immer wieder versucht worden, zuweilen mit gewaltigen Mitteln, so 1596 von Nürnberger Kaufleuten auf dem Tännig, dann 1770 von einem österreichischen Oberstleutnant von Domnitz in Goldisthal. Er baute hier einen stattlichen Herrensitz; fremde und heimische Arbeiter hatten reichen Verdienst, bis nach vier Jahren das Kartenhaus zusammenbrach. An die einstigen Träume von Gold und Reichtum mahnen nur die Namen der Dörfer: Goldisthal, Reichmannsdorf, und sie klingen heut wie Hohn, denn es sind die ärmsten im Tal. Man wird hier sonst nie von Einheimischen angebettelt, nur von fahrenden Leuten: in Goldisthal allein streckte mir zuweilen ein blasses Kind das Händchen entgegen, und auch für diejenigen, die's nicht taten, bettelten die abgezehrten Glieder und die hungrigen Augen. Vielleicht ergriff mich das Schicksal des Dorfes deshalb doppelt, weil es mich an das gleiche erinnerte, das eine mir sehr teure Landschaft getroffen hat; im südwestlichen Winkel der Bukowina habe ich einst schöne Monate verbracht. Hier wie dort ein goldhaltiger Fluß – ich habe ihn bereits genannt: die Bistrizza – und Gold im Quarz und beide zu wenig und nach kurzem Rausch Armut ohne Ende. Das Schicksal liebt oft solche Parallelen bis zum äußersten zuzuspitzen; hier wie dort war's ein ehemaliger österreichischer Offizier, und auch sein Herrensitz ist, wie der von Goldisthal, nun ein armseliges Gasthaus. Armselig ist alles in Goldisthal, nur die kürzlich erbaute gotische Kirche nicht. Sie ist hübsch, das Werk desselben, vielleicht nicht allzu begabten, aber grundtüchtigen Mannes, der seit Jahrzehnten das meiste im Fürstentum gebaut hat, aber anderswo hätte sie mir besser gefallen. Ich bin kein Feind von Gotteshäusern – wahrlich nein; und gerade arme, von der Sorge erdrückte Menschen bedürfen am meisten einer Stätte, wo ihnen Trost und Hoffnung quillt; aber es wäre doch vielleicht besser gewesen, das alte Kirchlein zu restaurieren und statt des Neubaus eine Fabrik zu bauen, etwa eine Holzwarenfabrik, wie sie nun in Glasbach, das vom gleichen Schicksal getroffen war, den Leuten Brot gibt. Besser und – wie soll ich's nur ausdrücken? – zweckdienlicher; denn Menschen, die ohne ihr Verschulden ihre Kinder hungern sehen, werden nicht so leicht an die Allgüte und Allgerechtigkeit Gottes glauben, und predigtet ihr sie ihnen mit Engelszungen... Tauchte der Goldglanz bloß wie Irrlichtschein auf, so war ein anderer Segen nur eben zu früh erschöpft. Seit grauen Tagen bis ins 17. Jahrhundert hinein lohten hier die Rennfeuer; sie gewannen aus dem Erz direkt schmiedbares Eisen wie etwa heute die Völker Innerafrikas. Dann bauten sie Blauöfen, dann regelrechte Hämmer, aber der Eisengehalt war für lohnenden Betrieb zu gering; das Eisen Westfalens, um die Hälfte billiger herzustellen, schlug das thüringische tot. Und Tausende waren brotlos. Anders, sagt ich schon, der Wald; er bleibt stetig wie das Grün seiner Tannen, und was er den Ahnen spendete, gewährt er nun den Enkeln. Wer die Forste in der Nähe der Dörfer durchstreift, trifft immer auf Leute, die hier dem Erwerb nachgehen, und vieles ist noch so wie vor Jahrhunderten.
