Im Schwarzatal


Wie im Mittelalter ziehen auch nun im Morgengrauen des Montags die Köhler in den Hochwald, meist ihrer drei, den Sack auf dem Rücken, in dem sich für sechs Tage Proviant findet, ein schwerer Packen, denn es sind nur Kartoffeln drin und etwas Mehl. Die Arbeit beginnt mit dem Fällen der Stämme; es folgt das Stockmachen, das Zerkleinern in möglichst regelmäßige Scheite, dann werden diese zum halbkegelförmigen Meiler geformt, mit Erde und Kohlenschutt bedeckt und angezündet. Nicht dem Auge, aber der Nase verrät sich der rauchende Meiler weithin, oft auf eine Stunde Weges. Einmal bin ich ihm nachgegangen. Die Leute waren eben beim Essen, guckten mich mit erstaunten Augen aus den abenteuerlich berußten Gesichtern an und gaben Bescheid, nicht unfreundlich, aber spärlich. Ob das schwere Arbeit sei? Leichte nicht, namentlich das Stockmachen. Aber dann brenne es doch von selber? Ja, wenn man den Luftzug recht geregelt habe, nicht zu viel und nicht zu wenig. Wieviel Taglohn sie hätten? Sie sahen einander an und schwiegen, endlich sagte der Älteste: »Nicht zu viel!« – die Summe nennt kein Arbeiter in der ganzen Welt gern. Was sie da äßen? Darauf die freundliche Einladung zu kosten. Einer wischte seinen Holzlöffel manierlich an einer Handvoll Gras ab und reichte ihn mir hin. Ich holte mir aus dem Napf eine Probe; es war eine dünne Mehlsuppe mit Schwämmchen, die höllisch scharf schmeckte. Als ich den Mund verzog, lachten sie unbändig: »Das ist ja aber was Guts.« Es war Brennesselsuppe. Dann gab's als zweiten Gang gebratene Kartoffeln ohne Salz und Schmalz, und zum Nachtisch zog einer ein Stückchen harten Kornbrots hervor und teilte es mit den Genossen, dabei leuchteten ihre Augen auf; das war der Leckerbissen. Ob sie nie Schmalz und Salz zu den Kartoffeln täten? Schmalz nie, Salz wohl, aber heut sei Sonnabend, sie hätten sich's nicht gut eingeteilt; »wenn du praßt – du nichts hast!« verstand ich den Spruch, bin aber dessen nicht gewiß, denn der Dialekt der einsamen Waldleute war mir schwer verständlich. Ob sie Fleisch äßen? Ja, aber nur daheim an den höchsten Festtagen, da gäbe es Schweinefleisch. Zum Schluß erlebte ich mit den armen, rohen Menschen etwas, was mich ordentlich rührte. Ich fragte, ob sie auch rauchten. Freilich, wenn sie Tobak hätten. Ich zog meine Zigarrentasche hervor, es waren noch zwei Stück drin, die reichte ich ihnen. Aber davon wollten sie nichts wissen; bis ins Tal sei ein weiter Weg, und da ich's gewohnt sei, so würde ich's entbehren; ich möge die eine behalten und die andere »mit ihnen rauchen«. Wie das gemeint war, sollte ich bald erfahren. Sie baten mich, anzurauchen, ich ließ aber dem Ältesten die Blume. Nachdem er eine Minute wohlig aus der Zigarre gepafft, gab er sie dem zweiten, dieser dem Jüngsten, und der wieder wollte sie mir reichen. Da empfahl ich mich, meine Zeit sei um. Nun ja, feine Formen haben die Köhler im Schwarzatal nicht, aber ein gutes Gemüt. Ein ähnliches hartes Leben führen die Holzfäller, aber nur anscheinend das gleiche wie einst; in Wahrheit ist's mit der geregelten Forstkultur nur immer beschwerlicher geworden. Einst durften sie die Stämme am Waldrand oder in der Nähe der Bergbäche schlagen, seit zweihundert Jahren schon sucht der Förster die Bäume aus. Denn Thüringen hat die älteste Forstkultur in Deutschland, eine ältere als Preußen, wo sie erst Friedrich der Große begründete, und im Fürstentum, wo der Wald etwa die halbe Bodenfläche bedeckt, wird sie besonders gepflegt. Das Fällen ist die geringere Arbeit als der Transport ins Tal. Vom November bis zum März sausen sie in Schlitten hinunter, im Frühling und Herbst müssen die Wildbäche, durch Schleusen gestaut und geregelt, die Arbeit tun. Unglücksfälle, wird mir gesagt, kommen nicht häufiger vor als in anderen Berufen; der Wäldler weiß mit seinem Wald Bescheid. Auch Pechhütten gibt's noch im Schwarzatal, aber weniger als einst, denn das Lachten (Schälen), den Harz zu gewinnen, schadet der Tanne; es ist ja gleichsam das Blut, das ihren Wunden entquillt. Hier habe ich keine Pechhütte gesehen wie vor zehn Jahren um Ilmenau so viele. Hingegen mehr Holzleserinnen als anderswo. In den Morgenstunden ist der Wald oft wie besät mit roten, blauen und schwarzen Punkten; das sind die Kittel der jungen Mädchen und der Großmütterchen, welche die abgefallenen Äste in die Tragkörbe tun. Die Lese ist jetzt nur an zwei bestimmten Wochentagen gestattet, aber es kommt vor, daß so ein junges Ding sich den Tag nicht merkt. Auch darf man natürlich nur Äste lesen, die bereits herabgefallen sind, aber es kommt vor, daß man ihnen zum Abfallen verhilft. Vollends besteht bezüglich der Dicke der Äste, die man mitnehmen darf, zwischen den Förstern und den Leserinnen große Meinungsverschiedenheit. Es ist ja in Zentimetern vorgeschrieben, aber das kann man sich nicht merken; so hält man sich daran, daß ein Ast höchstens so dick sein darf wie ein Arm oder eine Wade, und die sind doch von verschiedener Dicke. Nur daraus ist es auch zu erklären, daß die Förster die Äste junger Leserinnen viel seltener ob ihrer Dicke bemängeln wie die der alten. Es wird eben der mitgebrachte Maßstab billig berücksichtigt. Auch an Tagen, wo kein Holz gelesen wird, trifft man im Wald solche buntröckige Vögel, die zuweilen ein Liedchen piepsen, immer aber, wenn es ihrer zwei sind, schwatzen. Denn die Sommerfrischler, die in fast allen Dörfern des Tals sitzen, wollen Waldblumen und zahlen dafür. Das also ist, wie überall so auch hier, ein neuer Segen des Waldes, aber er wird hier verständnisvoller aufgenommen als anderwärts. Denn diese Leute lieben ihren Wald samt allem, was drin blüht, und wundern sich nicht wie zum Beispiel die im Salzkammergut über die närrischen Fremden, die Blumen hübsch finden; das tun sie selber. Freilich die Topfpflanzen gefallen ihnen viel besser; selten ein Haus, das nicht sein blühendes Fensterbrett hätte: »Origele und Nägele« (Aurikeln und Nelken), daneben Rosmarin, der getreue Geleiter des Wäldlers von der Wiege bis zum Grabe. Ein Zweiglein der stillen Blume liegt auf dem Polster des Täuflings, wenn er zur Kirche getragen wird; es wird ebenso ängstlich darauf geachtet, wie es vermieden wird, daß an dem Tage ein Grab in der Gemarkung offen stehe. Aus Rosmarin (und Preiselbeerenkraut) ist der Kranz gewunden, mit dem die Schwiegereltern die Braut schmücken, wo ihn nicht die neumodische Myrthe verdrängt hat; uralte Mode aber, die ewig jung bleibt, ist, daß viele ohne grünes Kränzlein im Haar zur Kirche gehen. Der Bräutigam hingegen – o Björnson, wo ist dein Handschuh? – trägt auch in solchen Fällen den Rosmarinstengel am Rock, ebenso die Brautführer. Auf dem Sterbekissen aber liegt wieder ein Rosmarinstengel, und auch das Geleit trägt diese Blume. Mit dem Hausgarten steht's lange nicht so gut wie mit dem Fensterbrett, aber selbst der dürftigste hat einen Strauch Rosen. Sie sind unentbehrlich, schon als Orakel. Will das Mädchen erfahren, ob's der Geliebte ernst meint, so setzt sie zwei Blättchen als Kähne in den Bach, das erste ist sie selber und das zweite er. Ist er nun eifrig hinter ihr her, »wie der Mönch hinter der Nonne« (so sagen die Slawen, und, seltsam genug, sagen sie's auch hier, obwohl sie nun seit vier Jahrhunderten keine Klöster mehr haben), so ist's gut; wo nicht, so läßt sie – zwei andere Rosenblättchen auf dem Bach schwimmen.



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