Heute läßt man hier dem Fluß sein Gold wie im oberen Tal dem Quarz der Felsen. Nur wenn eine Verlobung im fürstlichen Haus stattgefunden hat, jagt man wieder den winzigen Goldplättchen im Geröll des Flusses nach; die Schwarzburger Fürsten haben immer Trauringe aus Schwarzagold getragen. Teure Ringe, denn mehr als um vier Groschen täglich kann man nirgendwo »seifen«. So erzählte mir ein altes Schusterlein, das die Gasthöfe im Tal ablief, ob's nirgendwo was zu flicken gebe, und ein Stück Weges mit mir ging. Mit Schustern rede ich immer gern, es sind nachdenkliche Leute, auch dieser da war's. »Ja, wie soll man sich das nu erklären dhun?« sagte er bedächtig. »Grad so viel Gold is drin, daß es lockt, und zu wenig, daß es langt. Und grad uns alleine auf der ganzen Welt ist so 'n Fluß bescheret.« Das sei nicht so, meinte ich; in meiner Heimat, sehr weit von hier, sei auch so ein Fluß, die goldene Bistrizza. Die Talleute dort erklärten sich die Sache so, daß der liebe Gott das Gold hineingetan und der Teufel es verkrümelt hätte. Der Alte lächelte schalkhaft: »Das müssen Se den frommen Damens in Blankenburg erzählen, lieber Herre, die glauben rechtschaffen an den Teufel und freuen sich, von ihm zu hören. Ich aber möchte glauben dhun: das is einfach eine Naduhrsache, und darüber zerbricht man sich umsunsten den Kopp... Solche merkwierdige Naduhrsachen gibt's gar viele«, fuhr er fort. »Zum Beispiel, was Cordobang is, werden Se wohl wissen, dieses ist das feinste Leder. Und da liegt nu – hören Se! – ein Viertelstündchen hinterm Schweizerhaus, gegen Fröbitz zu, ein armseliges Dorf, und dieses Dorf, wo die Leute nich mal am Sonntag Stiebeln tragen, sondern barfuß loofen, heißt – hören Se! – ooch Cordobang! Können Sie mir das erklären dhun?« Das hätte ich wohl gekonnt; das Leder heißt Corduan nach der Stadt Cordova und der Weiler Cordobang, nach irgendeinem verstümmelten deutschen Eigennamen. Aber was hätte es genützt, wenn ich dem Manne diese eine »Naduhrsache« aufgeklärt hätte – es gibt so viele andere, mit denen wir beide zusammen nie hätten fertig werden können. Das »Schweizerhaus«, wo der Weg nach diesem Rätsel abzweigt, ist die Wohnung eines Wildwärters, der durch eine stattliche Magd auch Bier und Milch ausschenken läßt, und diese Magd heißt – die Ästhetiker mahnen uns immer, in unsere Schilderungen durch Einzelheiten Farbe zu bringen, und ich sehe gar nicht ein, warum ich hier die Farbe sparen sollte, da ich sie zufällig auf der Palette habe – die dicke Kathrin. Als ich sie zuerst sah – der Omnibuskutscher hatte auch hier auf meine Gesundheit getrunken –, war sie sehr lustig, jetzt aber blickte sie ordentlich düster drein. Den Grund wollte sie mir nicht sagen, aber ehe ich aufbrach, fragte sie scheinbar unbefangen, ob ich denn schon die große Neuigkeit gehört hätte, von der alle Welt im Tal rede, der Kutscher habe sich mit dem Zimmermädchen vom »Chrysopras« bei Blankenburg verlobt. Ich wußte es noch nicht, aber nun verstand ich alles.
Bis zum »Schweizerhaus« sorgen eigentlich nur Fluß und Wald für die Abwechslung, Berg und Felsen bleiben sich an Höhe und Form ziemlich gleich. Hier aber beginnen sie jählings emporzuwachsen, und auch ihre Form und Farbe wechseln von Schritt zu Schritt. Das ist keine Übertreibung, denn es ist Tonschiefer, und man weiß, wie seltsam, scharf und zackig sich dies Gestein unter dem Einfluß der Sonne und des Wassers formt. Dazu die unzähligen schroffen Windungen des Tals; hundert Schritte lang drängt das Gestein links vor und dann wieder das rechts; so geht's immer im Zickzack, immer in kurzen tiefen Schluchten dahin, und immer hat man die Empfindung: dies ist die letzte, und es geht nicht weiter – aber da rauscht ja neben dem Wanderer fröhlich der tapfere Genoß und Pfadgräber, die Schwarza. Ihr ist auch die erst ein Jahrhundert alte Chaussee gefolgt; französische Schule: man trotzt der Natur nicht, sondern sucht sich ihr anzuschmiegen. Wer eine der steilen, aber unschwer zu erklimmenden Kuppen besteigt, den Griesbachfelsen zum Beispiel – auch die Teufelstreppe, die zu ihm emporführt, ist das Werk eines braven, vorsorglichen Teufels –, und nun hinabblickt, hat die Empfindung, als wäre das Gestein von launischer Kinderhand wie mit der Laubsäge entzweigeteilt; so abenteuerlich sind die Krümmungen des Flußtals. Darum wechselt auch so oft die Beleuchtung, immerzu hüpft der Sonnenschein von der linken zur rechten Bergwand und umgekehrt. Auch diese Wände zeigen alle Spielarten der Farbe und Form. Rot, braun, schwarz erscheint der Schiefer, je nach dem Grad der Verwitterung, dazwischen steht das Grau des Sandsteins; von hellgrünen Büschen durchwachsenes Geröll bedeckt die Abhänge, mittendrin leuchtet das Rot wilder Rosen, droben stehen schwarzgrüne uralte Tannen, deren Wurzeln wie mächtige Bogen die Luft durchschneiden, denn das Geröll, durch das sie sich einst wanden, den Felsboden zu erreichen, ist zur Tiefe gestürzt; über ihnen aber blinkt in sonnengetränktem Blau das schmale Band des Himmels. Auch an verschiedener Musik fehlt's nie: Wald und Fluß rauschen, Vögel singen, der Specht klopft. Freilich singen auch die Ausflügler »Wer hat dich, du schöner Wald« und andere Lieder dazwischen... Und wieviel Abwechslung gibt erst die Form der Felsen! Einer sieht wie ein Riesenbecher aus, ein anderer wie eine Lyra, und damit zu Wein und Gesang das Weib nicht fehle, steht drüben ein dritter, der wie eine Dame aussieht; freilich hat sie eine gewaltige Krinoline und gar keinen Busen, aber das erste war doch einmal Mode, und das letzte kann man auch heute noch sehen. Mitten zwischen den Felsen gewahrt man die gewaltige Ruine eines gotischen Doms, ganz deutlich sind die beiden wohlerhaltenen Giebel zu sehen – aber wer hätte da oben auf die steile Höhe einen Dom gebaut? – es ist auch nur ein Witz der Natur, der Kirchfelsen. Der alte Fürst Günther hatte solche Freude daran, daß er den Felsen dekorierte; er gab ihm die Auszeichnung der blaugelben Flagge, und die weht noch heute droben. Dann sieht man weiter zur Rechten auf schattigem Felsvorsprung einen Turm; mißtrauisch guckte ich zu ihm empor, aber eine Respektsperson, der Kutscher eines fürstlichen Fouragewagens, der hier seine Pferde ausschnaufen ließ, bestätigte mir: »Dieses ist ein gemauerter Turm; er schreibt sich Eberstein. Denn dort ist der Saupark, und der Mann von der Wildsau schreibt sich auf hochdeutsch Eber.« Da war ich ja an der rechten Schmiede und fragte, wie der Berg heiße, der sich über dem Turm erhebt. »Dieses ist die Hünenkuppe«, war die Antwort. »Hünen haben Se nämlich einst die langen Männer geheißen, die vor dem hochfürstlichen Schloß in Schwarzburg Wache gestanden haben. Auf dieser Kuppe ist Se vor fünfzig Jahren ein alter Mann gesessen, der hat die ganze Gegend abgeschrieben.« – »Steht oben ein Haus?« fragte ich. »Nee!« lachte er. »So im Wald is der Alte gesessen und hat immerzu geschrieben und geschrieben, und davon ist die ganze Gegend sehr beriehmt geworden. Wie er hieß – warten Se mal, ein Wochentag – Dienstag – nee, Freitag!« Nun wußte ich Bescheid; auf der Hünenkuppe beginnt Freytags »Ingo«, aber er hat ihn nicht dort geschrieben, sondern in seinem behaglichen Arbeitszimmer in Siebleben diktiert, »einem blitzdummen Kerl«, wie er mir im selben Arbeitszimmer erzählte, »denn vor einem denkenden Schreiber bewahr den Dichter der Himmel...« – »Drüben steht auch 'n Boom«, fuhr mein Cicerone fort, »der heißt nach ihm Freytagsboom.« Ich zog mein Reisebüchlein hervor. »Ja«, sagte ich, »und dann muß doch hier die Ingoklippe sein, die auch an Freytag erinnert.« – »I bewahre!« lachte der Kutscher. »Die Inchoklippe – das is richtig, die sehn Se gleich links oben! Aber mit deme Herrn Freytag hat das nichts zu dhun! Der Incho war Se nämlich ooch so 'n alter Hüne von der hochfürstlichen Schloßwache, ein braver deutscher Mann – jaa!« Dann gab er dem Gespräch eine praktische Wendung, indem er seinen leeren Tabaksbeutel hervorzog. Ich verstand den Wink, und er fuhr vergnügt davon.
