Im Schwarzatal


Mit dem Denkmal des braven Schloßwachmanns Ingo, einer steilen Klippe, endet die Romantik des Schwarzatals, dann folgt die Reihe der großen Gasthöfe vor Blankenburg. Der ansehnlichste ist der »Chrysopras«, der kuriose Name erinnert an einen kuriosen Menschen. Danz hieß er und war um 1760 in Blankenburg Schneider, sogar ein ganz verdrehter Schneider, wie seine Mitbürger glaubten, denn statt auf seinem Arbeitstisch zu hocken, lief er die Berge ab und sammelte Steine; namentlich auf den Chrysopras, den zartgrünen Schmuckstein, war er wie versessen. Freilich teilte er diese Vorliebe mit einem berühmten Zeitgenossen, Friedrich dem Großen, der sein Sanssouci und das Potsdamer Stadtschloß überreich mit diesem milden, feinen Stein geschmückt hat; aber auch sonst wurde den Blankenburgern bald klar, daß ihr Meister Zwirn eigentlich ganz schlau war, nur eben mit einem Stich ins Närrische. Denn die Mineralien, die er sammelte, verhandelte er weiter, wurde allmählich ein wohlhabender und, da er unablässig mineralogische Studien trieb, in seiner Art gelehrter Mann, schließlich königlich-preußischer Bergrat und Besitzer dieses Hauses.Am Eingang in das Schwarzatal
In allem war er vernünftig, nur von Chrysoprasen konnte er nie genug haben und häufte ihrer eine schwere Menge auf, was aber dann seinen Erben recht angenehm war. Und so tauften sie das Haus pietätvoll nach seiner einträglichen Marotte, und es heißt bis heute so. Aber nur der Name ist ungewöhnlich, der Gasthof und seine Führung sind ganz landesüblich. In diesen Gasthöfen des Schwarzatals und in denen des Städtchens halten viele Leute ihre Sommerfrische und tun recht daran; es wimmelt nur so von hübschen Anlagen nach allen Seiten. Und was mich an Blankenburg enttäuschte, stört nicht viele Menschen. Es ist ein uraltes Nest mit reich bewegter Geschichte, so rund tausend Jahre alt, vom 12. bis ins 14. Jahrhundert Residenz der Schwarzburg-Blankenburger Linie, aber noch bis ins 17. Jahrhundert hinein ein Mittelpunkt der Kultur dieser Landschaft. Davon müßte wohl doch noch was zu sehen sein, dacht ich, und mir wässerte der Mund, als ich einmarschierte; sogar auf Mauer und Graben wagte ich hier noch zu hoffen. Nun, sie sind seit einem Jahrhundert beseitigt, und auch nach alten Häusern guckte ich lange aus, bis ich zum mindesten ihrer zwei fand, das eine gegenüber der Kirche, das andere nah der Post, beide brave Steinhäuser mit Rundbogenportal aus dem 16. Jahrhundert und hübschem Zierat von Rosetten, Nischchen und dergleichen. Das Rathaus ist ein dürftiger Bau aus öder Zeit (um 1750); älter sind nur zwei Tafeln rechts und links der Türe. Die zur Rechten zeigt das Blankenburger Stadtwappen, den aufsteigenden Löwen, von 1434, die zur Linken die Figur eines Bürgers aus gleicher Zeit, die als Wahrzeichen der Gerichtsbarkeit gedeutet wird. Also eine Art bürgerlichen Rolands. Das ist alles. Denn auch die Kirche ist modern restauriert, und selbst auf dem alten Kirchhof findet man nur Grabsteine aus dem 18. Jahrhundert; wohin mögen sie nur die älteren getan haben? An die einstige Bedeutung Blankenburgs mahnt nur eine Ruine, allerdings eine der größten Deutschlands, der Greifenstein, auf einem steilen Hügel nördlich der Stadt. Wie ich so sacht emporschritt und mir das bröckelnde Mauerwerk immer gewaltiger entgegenwuchs, hatte ich einen starken Eindruck: als nahte ich einer zerstörten Stadt. Aber als ich nun oben zwischen Gestrüpp und Ginster umherkletterte, da sprach nur noch die Natur zu mir, der Ausblick ins helle breite Saaletal im Nordwesten, ins ernste zerklüftete Schwarzatal im Süden wirken jeder an sich und zudem durch den Gegensatz, aber das Mauerwerk sagte mir wenig. Es ist alles gar zu verwüstet; einen einzigen Bau abgerechnet, stehen eben, auch nur mit großen Lücken, die kahlen Mauern da, an manchen Stellen unter Mannshöhe, an anderen höchstens bis zum Doppelten und Dreifachen, und wie die Burg einst war, kann man sich nicht klar vorstellen, selbst den Zug der Umfassungsmauer nur mühsam erkennen. Es waren eigentlich drei Burgen, an denen fünf Jahrhunderte geschaffen haben; mit dem Verwüsten ging's ungleich rascher. Der älteste Teil ist die Burg, die man durch einen Spitzbogen zuerst betritt; die Quadern aus dem 13. Jahrhundert halten noch; was spätere Zeiten aus Muschelkalk und Ziegeln hinzufügten, ist fast verschwunden. So sah der Greifenstein einmal aus.Gegen West und Ost reihen sich, von dieser Burg durch tiefe Gräben geschieden, zwei andere an, von der westlichen sieht man wenig mehr, die östliche hingegen ist der besterhaltene Teil. Hier steht, von Buchen, Eichen und Flieder umwachsen, der frühgotische Chorbogen der Kapelle, hier, neu unter Dach gebracht, der Bau, in dem nun eine Wirtschaft betrieben wird. Auch aus der obersten Stube kann man die beiden Täler übersehen und das liebliche Rinnetal dazu; das sah ich mir, obwohl zwei Damen am nächsten Tisch geräuschvoll Leipziger Stadtklatsch breittreten, lange, lange an und ging dann mit wachen Sinnen und unbewegten Herzens zu Tal. Denn ins Träumen oder zu seelischer Anteilnahme bringen einen derlei Trümmerstätten nur, wenn sie an sich sehr schön sind oder Erinnerungen an große Schicksale wecken. Hier trifft beides nicht zu. König Günther ist auf dem Greifenstein geboren, hat oft hier verweilt – aber was ist uns der arme Schattenkönig? Die Namen der andern, die hier herrschten, meldet »kein Lied, kein Heldenbuch«, und die Beherrschten gar sind still und stumm ins Grab gesunken, wie sie still und stumm gelebt und gelitten haben. Denn Blut und Tränen sind auch hier geflossen, viel Blut und viel Tränen, aber nur im Kampf um Mein und Dein, um ein Dorf oder, wenn's hoch ging, um eine Geviertmeile. Wer auf dem Greifenstein steht, begreift sehr wohl, daß hier, an der Grenze zwischen Wald- und Ackerland, an der Mündung dreier Täler früh ein Flecken entstand, und ebenso, daß dieser Berg sehr bald zur Feste wurde. Sie beherrschte die Täler und war zur Zeit, da die Geschosse noch nicht weit trugen, fast uneinnehmbar. Kein Wunder auch, daß es andere danach gelüstete; mit wem immer die Schwarzburger in Fehde gerieten, um Stadt und Schloß Blankenburg ging's zunächst. Daher die rastlose Arbeit durch fünfzehn oder mehr Menschenalter, den Greifenstein zu festigen; immer neue Gräben wurden gezogen, immer neue Mauern getürmt; im Frieden aber weilten die Herren lieber anderswo als in der düstern, riesigen Burg. So erklärt sich's, daß der Palas, das Wohn- und Festhaus, sowie der Frauengaden hier bereits 1548 ein »Aufenthalt von Eidechslein und Nachtraben« waren, zu einer Zeit also, da noch neue Ringmauern angelegt wurden. Die Erfindung und Verbesserung der Kanonen nötigte dazu; der Kesselberg im Norden ist höher als der Schloßhügel. Als auch dies nicht mehr fruchtete, räumten die Herren den Greifenstein und verkauften das Gemäuer an die Bürger unten. Die bauten sich davon ihre Häuser, trieben auch Handel mit dem Gestein und Eisenwerk; widerstanden die Quadern, so wurde fleißig gesprengt. Daneben trieben hier Schatzgräber ihr Wesen, heimlich oder offen; es gab sogar im 18. Jahrhundert ordentliche Genossenschaften zu diesem Zweck, die auch emsig Gewölbe sprengten und Stollen trieben. Denn in der Thüringer Sage ist der Greifenstein eine einzige große Schatzkammer, was begreiflich ist; hier wurde ja tatsächlich in Kriegszeiten durch Jahrhunderte alles Gut und Geld des ganzen Gaus geborgen. Auch heute noch versuchen oben Schatzgräber ihr Glück, und ein alter Krämer nah dem Markt, bei dem ich um fünf Pfennige Zündhölzchen kaufte, teilte mir – bar Geld lockt, und hier hat man Zeit – ganz genau mit, wie man das mit Erfolg anstellen kann. Man muß am 1. Mai, dem Tag, wo die Hexen tanzen, oder am Johannistag, der in Thüringen den Toten gehört, oder zu Silvester, wo man in die Zukunft sehen kann, geboren sein, sich vor nichts fürchten, auch nicht vor der blassen Frau, die oben allnächtlich ein Grab für ihr Kind schaufelt, das sie im Burggraben ersäuft hat, und drittens muß man ein von einer reinen Jungfrau gewebtes Hemde durch drei Mondmonate, also zwölf Wochen tragen, ohne es zu wechseln. Harte Sachen, besonders die letzte; da wird man ja zuerst ein Kammerjäger und dann erst ein Schatzgräber.



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